Firmen sollten Arbeitszeugnisse egal sein

Die Personalabteilungen der Arbeitgeber sollten Arbeitszeugnissen keinerlei Beachtung mehr schenken. Die Gefahr, dass sie gute Bewerber mit nicht exzellenten Zeugnissen schlicht übersehen, ist zu groß.

Vor zwei Wochen (31. Oktober 2021) schrieb die große Schweizer Zeitung NZZ am Sonntag, dass jeder zweite Personalchef das Arbeitszeugnis bei Bewerbungen als unnötig erachte und viele Firmen darauf ganz verzichteten, denn der Inhalt sei missverständlich – oder gar falsch.

Ich kann als Arbeitsrechtlerin die Personalchefs in Deutschland nur ermuntern, diesem Beispiel der Schweizer zu folgen.

Denn wie oft kommt es vor, dass sehr gute Arbeitszeugnisse nur als Teil eines Abfindungspakets ausgehandelt werden, nach dem Motto: „Entweder eine höhere Abfindung, aber nur ein wohlwollend formuliertes Zeugnis (also im Zweifelsfall ein tatsächlich schlechtes Zeugnis) oder eine (etwas) niedrigere Abfindung und dafür ein sehr gutes Zeugnis, das der Arbeitnehmer selbst schreiben darf und der Arbeitgeber auch so ausstellt?

Dieser peinliche Kuhhandel sollte beendet werden, denn ein Zeugnis ist kein in Geld messbarer Vorteil, weder in Abfindungsverhandlungen noch sonst. Ein Arbeitnehmer sollte nicht auf ein wohl verdientes (sehr) gutes Zeugnis verzichten müssen, weil er auf einer höheren Abfindung besteht. Und jemand, der gut gearbeitet und selbst gekündigt hat (also ein gutes Zeugnis nicht als Teil des Abfindungspakets mit ausgehandelt hat) sollte sich danach nicht jahrelang in einem praktisch aussichtslosen Zeugnisprozess verschleißen müssen, in dem er nachweisen muss, dass er überdurchschnittlich gut gearbeitet hat. Diesen Beweis kann man praktisch gar nicht führen. Gerichte unterstützen Arbeitnehmer bei Zeugnisprozessen auch so gut wie gar nicht. Immer noch ist es ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass ein Arbeitnehmer keinen Anspruch auf die sog. Dankes-, Bedauerns- und  Gute Wünsche- Formel im Zeugnis hat. Wenn diese Formel, die aber selbst in mittelmäßigen Zeugnissen üblich ist, fehlt, hat ein Arbeitnehmer kaum Aussichten, mit einem derart „verstümmelten“ Zeugnis auf dem Arbeitsmarkt Erfolg zu haben. Diese Rechtsprechung ist also vollkommen lebensfremd und benachteiligt ganz extrem diejenigen Arbeitnehmer, die ohne einen Rechtsstreit ihren Arbeitgeber verlassen haben.

Die Arbeitgeber sind dann die großen Verlierer. Denn sie sieben die Kandidaten aus, die kein exzellentes Zeugnis vorlegen können. Und fallen auf die exzellenten Zeugnisse rein, die Ergebnis eines Vergleichs sind. Natürlich müssen Zeugnisse der Wahrheit entsprechen. Aber diese ist deutbar und interpretierbar. Das wissen Arbeitsrechtler nur zu gut.

Deshalb an alle Arbeitgeber: Vergesst die Arbeitszeugnisse! Gebt Mitarbeitern, die sonst mit ihrem Lebenslauf überzeugen, eine Chance und testet sie in der Probezeit ganz intensiv.

Und an die Arbeitnehmer: Wer auch nur den leisesten Knatsch mit dem Chef hatte, ist gut beraten, auf einen Aufhebungsvertrag zu setzen, in dem die Zeugnisnote und am Besten auch der Zeugnistext einbezogen wird und nicht selbst zu kündigen und sich danach jahrelang bei den Arbeitsgerichten im Kampf um jedes Wort und jedes Komma im Zeugnis zu verschleißen. Das gilt jedenfalls so lange, wie in Deutschland Arbeitszeugnisse noch wie heilige Kühe behandelt werden.